Die Burgergemeinde und die Einwohnergemeinde scheiden ihre Güter aus

1867

Die beiden ersten Häuser in der Marktgasse, die Tuchlaube und das Gemeindehaus, erstellten Vertreter der Langenthaler Familien, die bereits im 16. Jahrhundert in den Quellen erwähnt sind. Als ehemalige Erblehensbauern des Klosters waren sie seit Generationen hier ansässig und verfügten über viele gemeinsam bewirtschaftete Güter. Diese alteingesessenen Familien (Dennler, Geiser, Hofer, Howald, Kuert, Lyrenmann, Marti u.a.) werden in den Urkunden als „Pursami“, als „Landleute von Langenthal“ oder als „Dorfburger“ erwähnt. Neben ihnen gab es die Tauner, die Besitzlosen und Taglöhner, die oft herumzogen – schliesslich die Zugezogenen, die Hintersassen. Letztere zahlten der Dorfgemeinde Hintersassengeld und konnten sich mit der Zeit auch einburgern lassen, allerdings mussten sie sich als vermögend ausweisen.

In den Urkunden des Burgrerarchivs ist stets von zwei Gemeindeformen die Rede: Von der eigentlichen Dorfgemeinde und der Gemeinde aller Einwohner. Schriftliche Dokumente besitzen wir aber allein von der Dorfgemeinde, denn sie verfügte über Besitz.

Im Laufe des 17. Jahrhunderts zogen immer mehr mittellose Menschen in unserem Kanton umher. Oft Flüchtlinge aus den Gebieten des 30-jährigen Krieges. Die Gemeinden schoben sie immer wieder ab, um sie nicht ernähren zu müssen. Die Urkunden reden von einer wahrhaftigen „Bettlerplage“. Deshalb setzte die Regierung 1690 in einer Bettelordnung fest, dass alle in diesem Jahr verzeichneten Einwohner einen Heimatschein erhalten sollen. Er berechtigte zur Unterstützung durch die Gemeinde, die ihn ausstellte. So wurde jeder, der 1690 in Langenthal ansässig war, in Langenthal heimatberechtigt. Die Folge war, dass neben den alten Geschlechtern auch die neuen Heimatberechtigten eine Teilhabe an den Dorfgütern beanspruchten. Das führte zu zahlreichen Auseinandersetzungen (Taunerkämpfe!). Die Alteingesessenen setzten sich jeweils durch und sie entschieden weiterhin über die Nutzung ihrer Güter. Allerdings mussten sie die Verantwortung für die ganze Gemeinde tragen und Strassen und Plätze unterhalten, den Langentenlauf pflegen, für die Feueraufsicht sorgen und zusammen mit dem Pfarrer und den Chorrichtern den Aufbau der Schulen vorantreiben und die Armen versorgen.

Die helvetische Verfassung von 1798 spiegelte ein neues Gemeindeverständnis. Sie war von den Grundsätzen der Freiheit von alten Bindungen, der Gleichheit aller Menschen und der Brüderlichkeit in einem Gemeinwesen getragen. Nun garantierte die neue Verfassung auch das erworbene Eigentum. Die alte „Pursami“ durfte weiterhin frei über ihre erworbenen Güter verfügen. So bestand neben der gesamten Gemeinde der „citoyens“ die Burgergemeinde weiter. Das erste Gemeindegesetz von 1833 nannte die gesamte Gemeinde nun „Einwohnergemeinde“. Die neuen Behörden hatten bald ein Problem: Kein Geld! Sie mussten zur Gestaltung des Gemeinwesens auf das Vermögen der Burgergemeinde zurückgreifen. Dieses war gross. Es umfasste praktisch alle Liegenschaften im Dorf sofern sie nicht Privaten gehörten, alle Plätze und Strassen sowie alle Einkünfte aus der Verpachtung der Liegenschaften, dem Kaufhaus- und Marktbetrieb. Hinzu kamen die Kapitalien aus Legaten von reichen Burgern, die vor allem zur Armenunterstützung zu verwenden waren.

Damit künftig die Einwohnergemeinden existieren konnten, forderte 1852 ein neues Gemeindegesetz die Ausscheidung dieses Burgerguts in Güter, die einen öffentlichen Zweck erfüllen, also allen Bürgern gehören und Gütern, die einen rein burgerlichen Zweck verfolgen. Im Klartext war es die Übergabe der meisten Vermögenswerte der Burgergemeinde an die Einwohnergemeinde zur Finanzierung ihrer Infrastrukturaufgaben. Den Burgern sollten vor allem die ausgedehnten Wälder bleiben. Verständlich, dass die alteingesessenen Familien Mühe hatten, sich von allen ihren übrigen Liegenschaften zu trennen. Einige zu denen sie eine besondere Beziehung hatten, versuchten sie als weitern Besitz der Burgergemeinde zu sichern. Z.B. das Choufhüsli, der Musterplatz und das Kapital der Legate. Die Regierung hatte dafür kein Verständnis. Die Burger weigerten, sich die Verträge zu unterschreiben. 1865 hätten die Ausscheidungsverträge ratifiziert sein sollen. In Langenthal lagen sie noch in der Schublade. Die Burgerversammlung verbot damals ihrem Präsidenten und dem Sekretär, sie zu unterschreiben. Darauf drohte die Regierung mit der Zwangsverwaltung der gesamten Gemeinde. Erst diese Drohung nützte. Der Burgerrat unterschrieb am 24. September 1867 den Ausscheidungsvertrag unter Protest! Immerhin war es ihm vorher noch gelungen, sich für das Choufhüsi das „ewige“ Recht auf die Nutzung von Räumen für Burgerratssitzungen, für Burgerversammlungen, für die Verwaltung und für das Archiv auszuhandeln. Die damals radikale Regierung liess diese Konzession zu. Sie glaubte sowieso, dass die alte Gemeindeform der Burgergemeinde überlebt sei und wollte sie mit der neuen Verfassung von 1895 abschaffen. Die Regierung hatte aber die Rechnung ohne die Oberaargauer Burger gemacht. Diese wehrten sich unter der Führung von Ulrich Dürrenmatt, dem Grossvater des berühmten Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt dagegen. Dürrenmatt besass die „Buchsi-Zytig“, das Organ der damals konservativen Berner Volkspartei. Er mobilisierte die Burger gegen die Verfassung. Es kam im Oberaargau zu eigentlichen Burgeraufständen – zu sogenannten Burgerchilbinen. In Grasswil, Bützberg und auf der Oschwand kamen Burger zu Hunderten zusammen. Dürrenmatt hatte mit Gedichten in der Buchsizytig die Emotionen geschürt:

„Gyger spilet uf ä Tanz, näht dr Burgerhopser füre. Chömet Chläis und Bänz und Hans, zeiget ne dr Wäg dodüre!
Schpilet uf und chnütschet brav – abe mit em Paragraph“.

Der Paragraph fiel – das Volk lehnte die Verfassung ab. Es wollte die Burgergemeinden behalten.

Als schliesslich 1893 die neue Verfassung kam, garantierte sie die Existenz der Burgergemeinden. Diese entwickelten sich zu öffentlich rechtlichen Körperschaften, die sich nun seit 150 Jahren durch Wald- und Landwirtschaft und durch kulturelles Engagement profilieren, auch die Burgergemeinde Langenthal. Zur ihr gehören seit 1867 alle Familien, die um 1700 den Langenthaler Heimatschein erhielten und deren Nachkommen hier Wohnsitz behielten. Weiter alle Langenthalerinnen und Langenthaler, die sich seither einburgern liessen. Es ist erfreulich, dass gerade in den letzten Jahren wieder viele Langenthaler, die mit unserem Ort verbunden sind, Burgerinnen und Burger geworden sind.

Plan 1867